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100 Tage in der Geschäftsführung

Marc Bischoff über das Heimischwerden und das Arbeiten im ELW

100 Tagen sind vergangen, seit Marc Bischoff am 1. Februar 2021 die Geschäftsführung des ELW übernommen hat. In Marc Bischoffs Büro hat sich einiges verändert. Neue Stühle stehen am Tisch, zwei Sessel kamen dazu, ein Bild des Londoner U-Bahn-Netzes hängt an der Wand. Im Interview berichtet Marc Bischoff von seinen ersten drei Monaten als Geschäftsführer und warum die Veränderungen in seinem Büro, so viel über ihn und seine Art zu arbeiten verraten.

Marc Bischoff ist angekommen beim Eigenbetrieb leben&wohnen (ELW) – auch innerlich. „Ich fühl mich beim ELW sehr wohl“, sagt Marc Bischoff. „Wenn zu Beginn meiner Arbeit das ‚Wir‘ im Kopf oft noch mit dem Deutschen Roten Kreuz verbunden war, so ist es inzwischen ganz klar ein ‚Wir beim ELW‘ geworden.“

Herr Bischoff, nun sind Sie 100 Tage Geschäftsführer beim ELW. Wie schnell ist die Zeit vergangen?

Die Zeit ist seit dem 1. Februar wirklich gerast. Aus dem Kennenlernen des ELW ist sehr schnell das Arbeiten im ELW geworden. Ich bin in allen Einrichtungen gewesen – in manchen mehrfach. Mit vielen Menschen mit unterschiedlichem Fokus zu tun zu haben, das schätze ich sehr. Pflege, Steuerrecht, Hauswirtschaft, Wohnungslosenhilfe – es gibt eine solche Vielfalt an Themen, über die ich hier im ELW spreche. Die regelmäßigen Besuche vor Ort möchte ich zu einer Tradition werden lassen. Dass die Zeit so schnell vergangen ist, hat mit diesem regen Austausch zu tun.

 

Eine Mitarbeitende des ELW hat mir zwei Fragen mit auf den Weg gegeben. Sie möchte gerne wissen, welchen Eindruck Sie von den Menschen im ELW haben. Und auch, was Sie im ELW schwierig finden – oder zumindest als Herausforderung ansehen. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Was mich vom ersten Tag an begeistert hat, ist die Offenheit der Menschen. Bemerkenswert finde ich auch, dass es viele Menschen beim ELW gibt, die hier schon über 25 Jahre arbeiten. Menschen, die die Gründung miterlebt haben und die ganze Entwicklung des Eigenbetriebs. Für die Pflege ist das ja atypisch. Vorletzte Woche habe ich im zentralen Dienst zwei Mitarbeiter in die Rente verabschiedet, die zusammen 50 Jahre beim ELW gewesen sind – bei der Landeshauptstadt Stuttgart und in der Pflege haben die beiden schon Anfang der 1980er-Jahre begonnen. Die Menschen im ELW erscheinen mir überdurchschnittlich loyal.

Was ich beim ELW als herausfordernd empfinde, ist eigentlich auch gerade das, was es hier so spannend macht. Dass die Leistungen und Einrichtungen so individuell sind. Es gibt nicht die eine Lösung schlechthin. Es gibt nur Lösungen, die sich aus dem Gespräch ergeben. Manchmal muss es nicht nur das Miteinanderreden, sondern auch das Miteinanderringen sein. Sei es, dass es dabei um Themen aus der Pflege geht oder um strategische Planung. Oder auch um neue Wege der Fachabteilungen. Deswegen habe ich die neuen Stühle am Tisch stehen, auf denen man selbst bei langen Diskussionen gemütlich sitzen kann. Und für sehr lange Diskussionen gibt es zudem noch die Sessel, die seit letzter Woche in meinem Büro stehen.

Ausdauer ist übrigens grundsätzlich wichtig für erfolgreiches Arbeiten. Für Prozesse, die ausdauernd schwierig sind, habe ich dieses Bild über dem Schreibtisch hängen. Es ist mein Ermutiger, meine Erinnerungshilfe daran, wie wichtig Durchhalten ist. Das Bild des U-Bahn-Netzes von London begleitet mich schon mein ganzes Berufsleben.

 

Wie kommt es denn, dass das Londoner U-Bahn-Netz für Sie so etwas Ermutigendes hat?

Das hat mit der Entstehungsgeschichte der Londoner U-Bahn zu tun. Die Londoner U-Bahn war die erste U-Bahn überhaupt. Die Idee, dampfende Eisenbahnen unterirdisch fahren zu lassen, die war für die damalige Zeit visionär. Von Charles Pearson, einem Politiker im 19. Jahrhundert stammte sie. Charles Pearson ließ sich trotz aller Widerstände aber nicht von seinem Ziel abbringen. Warum war das so? Weil es ihm nicht nur um die U-Bahn, sondern um etwas Größeres dahinter ging. Es ging ihm darum, für die Arbeiterinnen und Arbeiter bessere Lebensbedingungen zu schaffen.

Die Zustände in London waren für die Arbeiterinnen und Arbeiter katastrophal. Diese lebten beengt in der großen Stadt, die laut und verschmutzt war. Obwohl die Menschen lange Arbeitstage hatten, mussten sie zu Fuß zur Arbeit gehen. Lebenswertes Wohnen außerhalb der Stadt, eine Mobilität, die sich jeder leisten kann, das wollte Pearson möglich machen. Gegen das Verlegen der Schienen wehrten sich allerdings die etablierten Schichten – daher die Idee von Pearson, die Züge unterirdisch fahren zu lassen. Diese Idee verfolgte er beharrlich, bis das U-Bahn-Netz gebaut wurde. Am 10. Januar 1863 hat man die U-Bahn eröffnet – nach einem langen Ringen. Pearson hat nie aufgegeben – obwohl anderer über ihn gelacht haben, gesagt haben „Das wird nie etwas“.

Wenn es für mich Situationen gibt, in denen mir die Energie auszugehen droht, Situationen, die beharrlich schwierig sind, dann stelle ich mich vor das Bild. Dort hole ich mir Energie. Und natürlich hängt das Bild für den Fall der Fälle nun auch in meinem ELW-Büro hier. Falls ich mich von Pearson ermutigen lassen muss.

 

Hatten Sie denn schon einen schwierige Situationen in Ihrer Amtszeit beim ELW?

Natürlich gab es schon negativ Menschelndes für mich beim ELW. Beharrlich Schwieriges hatte ich in den drei Monaten noch nicht. Im März hat mich ein anonymes Schreiben erreicht, in dem schwere Vorwürfe geäußert wurden. Diese Situation hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Es ging um eine unserer Einrichtungen und es standen Dinge darin, denen ich einerseits nachgehen wollte. Dass das Schreiben anonym abgefasst war, fand ich andererseits sehr problematisch. Mit dem Personalrat habe ich darüber gesprochen. Und wir sind letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass wir in Zukunft anonyme Schreiben nicht mehr bearbeiten werden. Im ELW soll es einen offenen und fairen Umgang miteinander geben. Wenn jemand Kritik äußern will, wenn jemand Zustände als belastend oder ungerecht empfindet, dann gibt es viele andere Wege als anonyme Schreiben. Die Vorgesetzten, die Geschäftsführung und der örtliche Personalrat – es stehen ganz verschiedene Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. Ich wünsche mir für den ELW eine Kultur der Offenheit. Darum kam es zu dieser Entscheidung.

 

Was sind denn weitere Wünsche oder Pläne, die Sie für den ELW haben?

Nun hat Corona unser Leben letztes Jahr auf den Kopf gestellt. Deswegen steht es bei mir weit oben in der Planung, Fäden wiederaufzunehmen, die schon da sind. Vor allem denke ich an „Ethik und Care“ – hierzu gab es ja im Februar 2020 den großen Fachtag im Rathaus. Mit diesem Thema und Prozess machen wir auf jeden Fall weiter in diesem Jahr.

Was ich mir wünsche für den ELW, ist, dass die verschiedenen Bereiche noch stärker Hand in Hand arbeiten. „Rahmen statt Regeln“, das ist mir wichtig. Das prägt auch meinen Führungsstil. Und ich möchte dieses Prinzip generell im ELW haben. Für die Kundinnen und Kunden zählt am Ende des Tages, dass sie sich gut versorgt fühlen, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen und auf sie eingegangen wurde. Dabei sollte es keine Bereichsgrenzen nach starren Regeln geben. Ein Beispiel dafür: Verwaltungsmitarbeitende sollten keine Scheu haben, wenn sie von Demenzkranken angesprochen werden. Deswegen wird es auch wieder Workshops zum erfolgreichen Kommunizieren mit Menschen mit Demenz geben, die sich an Mitarbeitende außerhalb der Pflege richten.

Ansonsten wünsche ich mir, dass unsere Mitarbeitenden selbstbewusst sind. Der ELW ist der größte Altenhilfeträger in der Stadt Stuttgart. Wir gehören zur Landeshauptstadt Stuttgart. Und ich weiß, dass die Landeshauptstadt stolz ist, den ELW als sozialen Dienstleister zu haben. Die Gemeinderäte sind dem ELW sehr positiv gegenüber eingestellt. Ich habe den großen Wunsch, dieses Wir für den ELW noch weiter zu entwickeln. Alle zu verbinden. Ähnlich wie es Charles Pearson damals mit dem U-Bahn-Netz in London getan hat.

 

Lieber Herr Bischoff, vielen Dank für dieses Interview.

Das Interview führte Melanie Schölzke.

Stuttgart